
Wohnen mit weniger Autos: Städtebautrend 15-Minuten-Städte
Auf einem ehemaligen Industriegelände in der niederländischen Stadt Utrecht entsteht ein Stadtteil, in dem 12.000 Menschen leben sollen. Eigene Autos sind dort verboten, dafür sind 21.500 Fahrradstellplätze geplant. Auch in anderen Städten wird das Konzept der 15-Minuten-Stadt vorangetrieben – mit ganz unterschiedlichen Maßnahmen.

In einer 15-Minuten-Stadt soll alles Lebensnotwendige innerhalb kurzer Zeit zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein. Hier der autoreduzierte Freiburger Stadtteil Vauban.
Foto: Endrik Baublies /iStock
Utrecht wird gerne mit seiner malerischen Altstadt und der berühmten Oudegracht in Verbindung gebracht. Doch die Stadt ist nicht nur dank seiner Vergangenheit ein Vorzeigeobjekt. Auch bei der Zukunftsplanung gilt Utrecht mit seinen rund 376.000 Einwohnern als Aushängeschild, denn hier wurde das Konzept der 15-Minuten-Stadt fast vollständig umgesetzt.
Laut einer Studie ist das schon seit etwa 2021 der Fall. Seither arbeitet die Stadt an weiteren Konzepten. So fiel am 3. März 2025 der Startschuss zum Bau des Stadtteils Merwede. Vorangegangen waren mehrere Jahre politische Debatten, Planung und Bürgerbeteiligung.
Der Stadtteil entsteht auf einem ehemaligen Industriegelände entlang des Merwede-Kanals im Süden Utrechts. Die 15-Minuten-Stadt „beschreibt eine Stadt, in der alle Wege des Alltags in weniger als 15 Minuten bestritten werden können. Dabei sollen nachhaltige Verkehrsmittel genutzt werden.“ Merwede gilt als 10-Minuten-Stadt, weil dort alles Notwendige noch schneller erreichbar sein soll. Das gesamte Areal ist etwa 60 Hektar groß. Das entspricht einer Fläche von rund 84 Fußballfeldern.
Rund 24 Hektar sind für autofreies Wohnen vorgesehen. Der Rest verteilt sich auf Mobilitätshubs, öffentliche Einrichtungen, Gewerbe, Wasserflächen und Infrastruktur. Damit zählt Merwede zu den größten innerstädtischen Entwicklungsprojekten der Niederlande.
18 Wohnblöcke mit 3.000 Wohnungen
Das Stadtzentrum ist mit dem Fahrrad in etwa 10 Minuten erreichbar. Insgesamt sollen dort einmal rund 12.000 Menschen wohnen. Der Bau von über 200 Gebäuden soll in mehreren Etappen vollzogen werden. Zunächst ist bis 2027 die Errichtung von 1.200 Wohnungen sowie Infrastruktur wie Kindergärten und Fahrradwege vorgesehen.
Die ersten Unterkünfte sollen bereits Ende 2025 bezugsfertig sein. Von 2027 bis 2030 sind zudem 3.000 weitere Wohnungen geplant. Hinzu kommen Schulen, Geschäfte, Gesundheitszentren und sogenannte Co-Working-Spaces. Dabei handelt es sich um gemeinsam genutzte Arbeitsräume, die vor allem Selbstständige, Start-ups, kleine Unternehmen oder Menschen im Homeoffice nutzen. Statt allein zu Hause oder in einem klassischen Büro zu arbeiten, teilt man sich eine flexible Arbeitsumgebung mit anderen – inklusive Schreibtisch, WLAN, Drucker, Küche. Gemeinschaftsarbeitsräume sind ein typisches Merkmal für 15-Minuten-Städte.
Bis zur Fertigstellung – geplant sind etwa acht Jahre Bauzeit – ist dann der Bau der restlichen Wohnungen vorgesehen. 30 Prozent der 6.000 Wohneinheiten sind als Sozialwohnungen gedacht.
Kritiker befürchten soziale Spannungen
In Merwede sind private Autos nicht gestattet. Stattdessen gibt es 21.500 Parkplätze für Fahrräder, E-Bikes, Lastenräder und Mobilitätshubs mit Sharingangeboten für unterschiedliche Fortbewegungsmittel. Schulen, Arztpraxen, Kulturzentren usw. sind zu Fuß erreichbar. Die Kosten für das gesamte Bauvorhaben betragen etwa 5 Milliarden Euro.
Kurze Wege in einem komplett autofreien Wohngebiet, viel Grün und viel Platz zum Spielen für Kinder – das hört sich nach Idylle an. Doch es gibt auch Kritik an dem bislang größten Projekt dieser Art in den Niederlanden. So äußerten einige Stadtplaner Bedenken, dass die hohe Bebauungsdichte auf vergleichsweise kleinem Raum zu sozialen Spannungen führen könnte, wenn nicht ausreichend öffentliche Räume und soziale Infrastruktur geschaffen würden.
Es besteht auch die Befürchtung, dass der Parkdruck an den Quartiersrändern zunimmt, da Merwede selbst kaum Stellplätze bietet. Die geplanten Mobilitätshubs mit rund 1.500 Stellplätzen könnten nicht ausreichen, um Ausweichverkehr zu verhindern. So befürchten Anwohner des angrenzenden Bezirks Rivierenwijk, dass die neuen Bewohner in ihrer Nachbarschaft parken.
Barcelona wird in 503 Superblocks eingeteilt
In anderen Ländern sind die 15-Minuten-Städte ebenfalls auf dem Vormarsch – mit unterschiedlichem Tempo. Das Ursprungsmodell dieses Wohnkonzepts stammt vom Stadtforscher Carlos Moreno, der damit Paris zum Vorreiter („Ville du quart d’heure“) gemacht hat. Unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo wurde die französische Hauptstadt gezielt umgestaltet – mit mehr Radwegen, Schulstraßen, lokalen Märkten und autofreien Zonen. So ist in manchen Bezirken das Konzept in weiten Teilen umgesetzt. Probleme bereitet allerdings das große Verkehrsaufkommen in der Metropole mit Millionen Pendlern, die alltäglich aus den umliegenden Gebieten nach Paris strömen.
Als weit entwickelt bei der Umsetzung gelten Österreichs Großstädte Graz und Wien. Dort können mehr als 90 Prozent der Einwohner alle nötigen Einrichtungen innerhalb einer Viertelstunde erreichen.
Einen eigenen Ansatz verfolgt Barcelona mit der Umgestaltung der Stadt in sogenannte Superblocks (Superrilles). Seit 2017 werden die Stadtviertel so umgestaltet, dass mehrere Wohnblöcke zu einem verkehrsberuhigten Superblock zusammengefasst werden. Innerhalb dieser Zonen dürfen nur Anwohner und Lieferdienste mit dem Auto fahren, und zwar mit maximal 10 Kilometern pro Stunde. Zudem entstehen neue Grünflächen, Spielplätze und Sitzbereiche.
Insgesamt soll die Stadt in 503 Superblocks aufgeteilt werden, mehrere Dutzende Stadtteile sind bereits umgestaltet. Insgesamt sollen etwa 60 Prozent der bisher vom Autoverkehr dominierten Straßen in neue Lebensräume verwandelt werden. Widerstände gibt es von Geschäftsleuten und Autofahrern, die Einschränkungen (Seite 13) befürchten.
Im australischen Melbourne wurden mit Strathmore, Sunshine West und Croydon South drei Stadtteile als Modellquartiere ausgesucht. In Down Under heißt das Konzept „20-Minute-Neighbourhoods“. Mit Unterstützung von Initiativen wie „Victoria Walks“ und der „Heart Foundation“ wurden Maßnahmen wie Verkehrsberuhigung und neue Radwege umgesetzt. Es gibt mehr Grün sowie mobile Bibliotheken und Spielplätze. Doch bleiben laut einer Studie viele Herausforderungen, weil nicht alle Stadtteile die Kriterien erfüllen. So fehlt es besonders in Vororten an Ärzten, Supermärkten, Kinderbetreuung und so weiter.
Frankfurt beschloss kürzlich einen Masterplan
In Deutschland gibt es ebenfalls einige Städte, die das Konzept sukzessiv vorantreiben. In Freiburg gilt Vauban als Modellstadtteil für nachhaltiges Leben. Er ist autoreduziert, alle Läden, Kitas, Schulen und Freizeiteinrichtungen sind in 10 bis 15 Fußminuten erreichbar. Auch das benachbarte Rieselfeld folgt demselben Prinzip: kompakte Schule, Quartierszentrum mit Einkauf, Café und Sporthalle sowie weitverzweigtes Rad- und Fußwegenetz.
In Berlin bleiben viele Menschen ohnehin in ihrem Wohnviertel. In Stadtteilen wie Prenzlauer Berg, Schöneberg oder Friedrichshain sind Supermärkte, Arztpraxen, Cafés und Kitas oft in unter 15 Minuten zu Fuß zu erreichen. Das macht die Bundeshauptstadt schon heute in Teilen zur 15-Minuten-Stadt. Eine der größten Herausforderungen ist die enorme Fläche. Berlin ist etwa neunmal größer als Paris. Das bedeutet weite Wege zwischen Zentrum und Außenbezirken.
In Frankfurt am Main hat die Stadtverordnetenversammlung erst am 8. Mai 2025 den „Masterplan Mobilität 2030“ beschlossen. Ziel ist es, den Anteil an Fuß-, Rad- und ÖPNV-Verkehr bis 2035 auf 80 Prozent zu steigern. Um das zu erreichen, will die Bankenmetropole Radwege bauen, autoarme Zonen einführen, die Parkgebühren erhöhen und das Carsharing fördern.
Probleme in ländlichen Regionen
Schwierig ist die Umgestaltung ländlicher Regionen. Die Analyse „Die 15-Minuten-Stadt – Versprechen für die Mobilitätswende“ vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung beleuchtet kritisch, wie realistisch das Konzept in ländlichen Räumen ist. Sie betont, dass eine echte Umsetzung dort eine Dezentralisierung staatlicher Leistungen und neue Versorgungsformate wie Gesundheitskioske oder mobile Bürgerämter erfordern.
Eine österreichische Plattform weist auf die Flexibilität des 15-Minuten-Konzepts hin – etwa als 30-Minuten-Region. Auch sei Digitalisierung in ländlichen Räumen ein Schlüssel zur Umsetzung.
Stichwort Digitalisierung: Hier kommt das Smart-City-Konzept ins Spiel, das unweigerlich mit dem der 15-Minuten-Stadt verknüpft ist – auch wenn es ursprünglich nicht zum Kern der Planungen gehörte. Bei einer datenbasierten Stadtplanung sollen Sensoren oder Mobilitätsdaten helfen, Wege, Bedarfe und Nutzungsverhalten besser zu verstehen – und so gezielt Infrastruktur im Quartier zu planen.
Online-Plattformen ermöglichen es Bewohnern, sich an der Gestaltung ihres Viertels zu beteiligen – etwa durch Umfragen, Karten oder Feedbacktools. Das alles läuft dann unter dem Aspekt der digitalen Bürgerbeteiligung.
Eine Vernetzung der Quartiere durch digitale Gesundheitsdienste oder smarte Gebäude soll die Lebensqualität und Effizienz im Alltag erhöhen. Echtzeitdaten zu ÖPNV, Sharingangeboten oder Verkehrsflüssen („Intelligente Mobilität“) sollen einen Verzicht auf das Auto erleichtern – ein zentrales Ziel der 15-Minuten-Stadt.
Überwachung durch Verknüpfung mit Smart-City-Technologien?
Alle diese Möglichkeiten rufen Kritiker auf den Plan, die die Möglichkeiten einer totalen Überwachung sehen. Der Urbanist und Autor („Against the Smart City“) Adam Greenfield bemängelt, dass Smart Citys oft von Tech-Konzernen wie IBM oder Cisco geprägt werden. Deren Ziele dienten primär nicht dem Gemeinwohl, sondern Datenerhebung und Kontrolle. Gegenüber der österreichischen Ausgabe von „Forbes“ sagte Greenfield, dass es in der vergangenen Dekade „nur sehr wenige Fallstudien über signifikante Auswirkungen von smarten Technologien zur Optimierung von Städten gab, die deren Investitionen rechtfertigen“.
Nach einem zweijährigen Volontariat arbeitet Oliver Signus seit mehr als 30 Jahren als Redakteur. Seit 2022 schreibt er für Epoch Times. Dabei ist die vielschichtige, abwechslungsreiche Arbeit das tägliche Salz in der Suppe. Als Schwerpunkte haben sich die brisanten Themen unserer Zeit wie das World Economic Forum (WEF) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) herauskristallisiert.
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