Logo Epoch Times
plus-iconStichwort Meinungsfreiheit

„Lügenverbot“ im Koalitionsvertrag? Wie Union und SPD gegen Desinformation, Hass und Hetze vorgehen wollen

Union und SPD wollen den Kampf gegen die „Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen“ und gegen „Hass und Hetze“ mithilfe einer „staatsfernen Medienaufsicht“ verschärfen. Ein Angriff auf die schon jetzt bestehenden Grenzen der Meinungsfreiheit? Eine Analyse.

top-article-image

„Hass und Hetze“ sind in Deutschland unter anderem über den Volksverhetzungsparagrafen juristisch geächtet. CDU, CSU und SPD haben auch der „Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen“ den Kampf angesagt.

Foto: Fabian Sommer/dpa

author-image
Artikel teilen

Lesedauer: 9 Min.

Der amerikanische Vizepräsident JD Vance hat den Umgang der europäischen Regierungen mit der Meinungsfreiheit im Februar 2025 auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit deutlichen Worten getadelt. Laut Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD plant die neue Bundesregierung dennoch, den Kampf gegen das vermeintlich allzu freie Wort in Deutschland zu verschärfen. Im Vertragskapitel „Umgang mit Desinformation“ heißt es auf Seite 123:
„Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können.“
Ein Ausschnitt aus dem Unterkapitel „Umgang mit Desinformation“ im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD 2025. Foto: CDU.de/Bildschirmfoto/

Ein Ausschnitt aus dem Unterkapitel „Umgang mit Desinformation“ im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD 2025.

Foto: CDU.de/Bildschirmfoto/PDF

Strengere Grenzen der Meinungsfreiheit?

Die Passage hatte in den vergangenen Wochen die Debatte um die Grenzen der Meinungsfreiheit angeheizt. Es solle de facto ein „Lügenverbot“ eingeführt werden, meinte etwa die „Welt“-Journalistin Anna Schneider. Ähnlich sah es das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW): „Der Vorstoß von CDU/CSU und SPD für eine Art Zensuranstalt ist ein gefährlicher Angriff auf die Meinungsfreiheit“, schrieb die Partei auf ihrem X-Kanal. Das BSW forderte:
„Was politisch richtig oder falsch ist, sollte nicht die Regierung entscheiden dürfen. Ein Wahrheitsministerium sollte dem Roman 1984 von George Orwell vorbehalten bleiben und darf in einer demokratischen Gesellschaft niemals Realität werden.“
Auch FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki befürchtete einen noch engeren Meinungskorridor.

Strafrechtsexperten ebenfalls besorgt

Die Kölner Strafrechtsexpertin Prof. Frauke Rostalski sieht durch die „Verkürzung der Meinungsfreiheit“ ebenfalls das „offene gesellschaftliche Gespräch“ in Gefahr: Aus Sorge vor Strafverfolgung könnten sich die Bürger zu einer Art Selbstzensur entschließen oder sogar ganz verstummen, anstatt von ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen, brachte Rostalski in der „Legal Tribune Online“ zum Ausdruck. Das sei aus ihrer Sicht ein Zeichen für die in der Bundesrepublik gewachsene „Diskursvulnerabilität“ – ein Begriff, den sie selbst zur Beschreibung einer „besonderen Verletzlichkeit im Gespräch“ geprägt habe.
Ähnlich wie Rostalski hält auch der Medienanwalt Prof. Dr. Ralf Höcker das Kapitel „Umgang mit Desinformation“ im Koalitionsvertrag (PDF) für „juristisch und demokratisch höchst problematisch“, wie er in einem Gastbeitrag für die „Berliner Zeitung“ (Bezahlschranke) schrieb. Denn „gerade in politischen und gesellschaftlichen Debatten, an denen der Staat ein besonderes Interesse“ habe, existiere „selten eine absolute Wahrheit“.
Auch Höcker vermutet, dass „die Schere im Kopf“ die Meinungsvielfalt noch weiter „zur Einfalt verkommen lassen“ wird, wenn Social-Media-Plattformen noch schärfer gegängelt würden oder persönliche Nachteile drohten. Dabei sei es bislang durchaus erlaubt, sogar „blanken Unsinn“ zu äußern, solange die Persönlichkeitsrechte anderer gewahrt blieben.
Die Grenzen dieser Rechte seien klar definiert und endeten keineswegs „dort, wo die Gefühle eines anderen beginnen“, gab Höcker zu bedenken: Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Falschbehauptungen über Personen, Volksverhetzung oder die Leugnung des Holocaust seien als Äußerungsdelikte ohnehin längst strafbar, so Höcker.

SPD-Rechtspolitikerin wirbt für Mut zur Anzeige

Man solle nicht davor scheuen, bei mutmaßlichen Äußerungsdelikten oder „digitaler Gewalt“ zur Strafanzeige zu greifen, meint Sonja Eichwede, die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag. Die studierte Richterin und frühere Dozentin für Polizei- und Verwaltungsrecht hatte bereits Ende Juni 2024 auf ihrem TikTok-Kanal dafür geworben, die Möglichkeiten einer Onlineanzeige etwa über das Portal „Hate Aid“ zu nutzen:
„Traut euch! Zeigt dies an! Weil es Konsequenzen braucht, wenn man Straftaten begeht, weil man da den gesellschaftlichen Konsens verlässt.“
Eichwede gilt nach Angaben der „Tagesschau“ neben der geschäftsführenden Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) als Favoritin für das Amt der Justizministerin in einem künftigen schwarz-roten Regierungsbündnis. Wer es letztlich werden soll, will die SPD am Montag, 5. Mai, bekannt geben.

Meinung oder Tatsachenbehauptung?

Union und SPD greifen in ihrem Koalitionsvertrag offensichtlich gezielt auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. Oktober 2012 zurück (1 BvR 901/11). Das höchste deutsche Gericht hatte damals entschieden, „dass die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst wird“.
Andererseits hatte das BVerfG am 28. November 2011 festgestellt (BvR 917/09, Randnummer 18), dass Meinungen nach Artikel 5 des Grundgesetzes unabhängig davon geschützt seien, „ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden“. Auch „Tatsachenmitteilungen“ seien geschützt, „soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können“ und nicht „bewusst oder erwiesen unwahr“ seien.

BVerfG: „Funktion der Meinungsfreiheit“ darf nicht unter „Wahrheitspflicht“ leiden

Das BVerfG betont dabei einen gewissen Spielraum: Die Anforderungen an die Wahrheitspflicht dürften „nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Im Einzelfall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte.“
Der Unterschied zwischen geschützten unwahren Meinungsäußerungen und nicht geschützten unwahren Tatsachenbehauptungen mag also zuweilen schwer abgrenzbar sein. Das BVerfG definierte Meinungen in seinem 2011er-Beschluss als „durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen“. Im Gegensatz zu einer Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt bewiesen werden könne, seien Meinungen „subjektiv und nicht belegbar“, erklärt der „ARD-faktenfinder“.

„Hass und Hetze“ im Einzelfall zu betrachten

Und was ist mit der juristischen Bedeutung von „Hass und Hetze“ – der Formulierung, die im Koalitionsvertrag steht? Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags weisen in einem Artikel zum Thema (PDF) darauf hin, dass die beiden Begriffe „im Straftatbestand der Volksverhetzung Verwendung“ finden, also in Paragraf 130 des Strafgesetzbuches (StGB). Weitere Straftatbestände, „die mit durch Hass motivierten Äußerungen typischerweise verwirklicht werden“ könnten, seien Beleidigung, üble Nachrede, Nötigung, Bedrohung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Im Zusammenhang mit Volksverhetzung sei Hass „seitens der höchstrichterlichen Rechtsprechung definiert als ‚eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil‘“. Ob solch eine feindselige Haltung die Schwelle zur Strafbarkeit überschreite, weil mit ihrer Äußerung ein „Aufstacheln zum Hass“ vorliege, bedürfe „einer genauen Betrachtung des jeweiligen Einzelfalles“, so die Auffassung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags.

Keine Stellungnahme von den Fraktionen

Epoch Times schickte den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD schon vor einigen Tagen Fragenkataloge. Wir wollten unter anderem wissen, was sie sich unter dem Begriff „Informationsmanipulation“ und einer „staatsfernen Medienaufsicht“ vorstellen, wie die Staatsferne der Aufsicht garantiert werden soll, ob eine neue Behörde dazu eingerichtet werden soll und ob sich die Aufsicht nicht nur auf Medienhäuser, sondern auch auf Privatpersonen und Politiker erstrecken soll.
Zudem interessierte uns, ob die Medienaufsicht stets das letzte Wort haben soll und welche „klaren gesetzlichen Vorgaben“ den Fraktionen vorschweben, anhand derer eine geschützte Meinung, eine „bewusst falsche“ Tatsachenbehauptung oder ein schlichter Irrtum überhaupt voneinander unterschieden werden sollen.

„Digitales Gewaltschutzgesetz“

Auch das Kapitel über das angestrebte „Digitale Gewaltschutzgesetz“ (Seite 91 im Koalitionsvertrag) wirft Fragen auf. Darin heißt es, die Regierungspartner würden dafür sorgen, dass Plattformen „Schnittstellen zu Strafverfolgungsbehörden bereitstellen“ sollen, „damit relevante Daten automatisiert und schnell abgerufen werden können.“ Dadurch sollen „auch anonyme Hass-Accounts mit strafbaren Inhalten“ gesperrt werden können.
Epoch Times wollte von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD wissen, welche Aufgaben dabei auf die Bundesnetzagentur, auf deren „Trusted Flagger“ oder auch auf private Agenturen wie „Hate Aid“ oder „SO DONE“ zukommen.
Trotz mehrtägiger Fristen blieben sämtliche Fragen von beiden Fraktionen unbeantwortet.
Patrick Reitler, geboren in den späten Sechzigerjahren am Rande der Republik. Studium der Komparatistik, Informationswissenschaft und Sozialpsychologie. Seit der Jahrtausendwende als Journalist hauptsächlich in Online-Redaktionen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und als Fußballkommentator unterwegs. Seit Ende 2022 freier Autor. Bei Epoch Times vorwiegend für deutsche Politik zuständig.

Aktuelle Artikel des Autors

Kommentare

Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.

OSZAR »