Logo Epoch Times

Analyse

Sechs Fragen nach dem Parteitag

Partei sucht Kompass: Wird Bärbel Bas zur neuen Stimme der SPD?

Der SPD-Parteitag in Berlin verlief für viele überraschend – insbesondere mit Blick auf das Wahlergebnis für Vizekanzler Lars Klingbeil. Die Partei steht nun vor der Aufgabe, mit den innerparteilichen Spannungen konstruktiv umzugehen.

top-article-image

Der Parteitag hinterlässt die neue SPD-Spitze nachdenklich.

Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images

author-image
Artikel teilen

Lesedauer: 6 Min.

Nach dem Bundesparteitag steht die SPD vor großen Herausforderungen. Das Ergebnis der Bundestagswahl mit 16,4 Prozent markiert einen historischen Tiefstand für die Partei. Auf dem Parteitag kam es zu deutlicher Kritik an der Parteiführung: Vizekanzler Lars Klingbeil erhielt ein vergleichsweise schwaches Wahlergebnis, und inhaltlich gab es auch Differenzen mit Verteidigungsminister Boris Pistorius über die Wehrpflicht. Wie sollen die Sozialdemokraten so auf Augenhöhe kommen mit der CDU und Kanzler Friedrich Merz?
Ihre neue Doppelspitze jedenfalls wählt die SPD mit Ergebnissen, die ungleicher kaum sein könnten: Bärbel Bas, die für den linken Parteiflügel steht, erhielt rund 95 Prozent Zustimmung. Lars Klingbeil, der Vizekanzler, landet bei unter 65 Prozent – so schlecht war noch kein SPD-Chef, der ohne Gegenkandidaten antrat.

Ist Klingbeil dauerhaft beschädigt?

Dieses Wahlergebnis wird parteiintern als Zeichen für Kritik an seinem Führungsstil gewertet: wegen seiner Personalpolitik nach der Wahl; der Strategie, sich auf allen wichtigen Posten mit Vertrauten zu umgeben, sowie seines Zögerns in der Debatte um die umstrittene Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz – ebenso wie beim späteren Rückzug seiner Co-Parteichefin Saskia Esken.
Auf dem Parteitag erhielten vor allem jene deutlichen Applaus, die bei der personellen Neuaufstellung keine Berücksichtigung fanden – neben Esken insbesondere der ehemalige Arbeitsminister Hubertus Heil.
Dennoch betonte Klingbeil unmittelbar nach der Wahl, seinen Kurs fortsetzen zu wollen. Pistorius stärkt dem Landsmann aus Niedersachsen den Rücken: „In einem Jahr spätestens, wahrscheinlich schon früher, redet darüber gar keiner mehr, weil wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten so sind.“

Ist Bärbel Bas jetzt die starke Stimme der SPD?

Bärbel Bas präsentierte sich als Vertreterin klassischer sozialdemokratischer Themen. Sie stellte kurz vor dem Parteitag ein Rentenpaket vor und sprach sich deutlich für die Gleichstellung von Frauen in der Politik aus. Innerhalb der Partei genießt sie breite Unterstützung. Ihre Rolle könnte sich künftig stärker als gleichwertige Partnerin an Klingbeils Seite entwickeln.

Was bedeutet das Parteitagsergebnis für die schwarz-rote Koalition?

Das Wahlergebnis von Klingbeil als SPD-Vorsitzender könnte Auswirkungen auf das Machtverhältnis innerhalb der schwarz-roten Koalition haben. Für Kanzler Merz ist Klingbeil der wichtigste SPD-Ansprechpartner – und zugleich mit Blick auf die nächste Bundestagswahl Stand heute der wichtigste Konkurrent.
Merz könnte nun bei strittigen Entscheidungen stets infrage stellen, ob der SPD-Chef überhaupt die volle Rückendeckung seiner Partei und seiner Fraktion hat.
Gleichzeitig steht der Vizekanzler unter dem Druck, jetzt erst recht sozialdemokratische Politik in der Koalition durchzudrücken. Er könnte immer wieder beweisen wollen, dass er das Vertrauen seiner Partei verdient hat.
Normalerweise fährt der Finanzminister und Vizekanzler einen eher moderierenden Kurs, jetzt könnten die schwarz-roten Auseinandersetzungen deutlich härter werden. Abzuwarten bleibt dabei, ob Bas in ihrem Arbeitsministerium – eine Gesetzesmaschine mit großem Etat – nun SPD pur durchsetzen will.

Hat die SPD ihre Haltung zu zentralen Themen der Koalition verändert?

Am nächsten kam sie dem bei einer Debatte zur Wehrpflicht, wo die Meinungen weit auseinandergehen. In stundenlangen Krisengesprächen wurde hinter den Kulissen verhindert, dass es am Rednerpult zur offenen Feldschlacht zwischen Minister Pistorius und Juso-Chef Philipp Türmer kommt. Am Ende steht ein Kompromiss.
„Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind. Maßnahmen zur Musterung, Erfassung und Wehrüberwachung wehrpflichtiger junger Männer wollen wir ermöglichen“, heißt es nun im beschlossenen Text.
Versuche, einen Wechsel zu einem weicheren Kurs gegenüber Russland zu erreichen, verliefen erkennbar im Sande. Offen kritischer wurden aber die Stimmen gegenüber der israelischen Regierung und der Kriegsführung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
„Unsere Solidarität gilt auch den Menschen im Gaza-Gebiet, die nun schon so lange in ihrem eigenen Bereich von einer in die andere Ecke vertrieben werden“, sagte der niedersächsische Ex-Ministerpräsident Stephan Weil, der den Ton gleich am ersten Tag setzte. Sie müssten inzwischen schon Angst haben, „nicht mehr lebend nach Hause zurückkehren zu können, wenn sie morgens versuchen, Lebensmittel zu ergattern“.

Hat die SPD einen Plan für den Weg aus der Krise?

„Veränderung beginnt mit uns“, das Motto des Parteitags, ist noch nicht mit Inhalt gefüllt. Dafür will sich die SPD jetzt zwei Jahre Zeit nehmen und ein neues Grundsatzprogramm entwickeln. Dafür gilt scheinbar: im Zweifel zurück zu den Wurzeln.
Es deutet sich an, dass die SPD traditionelle sozialdemokratische Themen in den Mittelpunkt rückt: den Kampf um Industriearbeitsplätze, Respekt für Aufstiegsgeschichten. Dazu eine einfachere Sprache, weniger Floskeln. Das hat man sich zumindest vorgenommen.

Was bedeutet das für die anstehenden Landtagswahlen?

Im nächsten Jahr werden fünf Landesparlamente gewählt – auch in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD mit Alexander Schweitzer und Manuela Schwesig starke Ministerpräsidenten stellt. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Wahlen von der bundespolitischen Stimmung entschieden werden.
Hubertus Heil rief seine Partei zum Abschluss zu mehr Geschlossenheit auf: „Streit in der Sache nicht mit autoaggressiver Selbstzerfleischung der SPD verwechseln“. „Keine Kabale“, forderte er, „das hatten wir, das hat uns kaputtgemacht“. (dpa/dl)

Kommentare

Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.

OSZAR »