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Feste Körper flexibel machen

Origami: Wie traditionelle Kunst die Kreativität von Forschern entfaltet

Origami – die japanische Kunst des Papierfaltens – könnte die nächste Stufe innovativer Materialien sein. Die besonderen Eigenschaften, die derzeit noch von Forschern getestet werden, sollen künftig ihr Potenzial in Gebäuden, Flugzeugen und Laufschuhen entfalten.

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Seit dem 16. Jahrhundert falten die Menschen in Japan ihr Papier zu schönen Formen. Jetzt haben Forscher das Origami für sich und ihre Materialforschung entdeckt.

Foto: shironagasukujira/iStock

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Lesedauer: 9 Min.

In Kürze:

Origami ist eine jahrhundertealte Technik aus Japan, um mit gezielten Faltungen komplexe Figuren zu erschaffen.
Tragende Strukturen können von Origami profitieren und stabiler, sicherer und leichter werden.
Weglassen von Falten ermöglicht nahtlose Oberflächen auch bei hohen Materialstärken.
Anwendungsgebiete reichen von Stadiondächern, über Flugzeuge zu Verpackungen bis hin zur Chirurgie.

 
Origami wird in Japan seit dem frühen 16. Jahrhundert praktiziert und ist die Kombination einfacher Falttechniken, um teils komplizierte Figuren zu erstellen. US-amerikanische Forscher nutzen diese Technik wiederum als Grundlage für die nächste Generation von Materialien. Das Besondere: Sie sind sowohl Festkörper als auch vorhersehbar verformbar und können sich unter den richtigen Kräften „falten“.
„Origami hat in den vergangenen zehn Jahren aufgrund seiner Fähigkeit, Strukturen zu entfalten oder zu transformieren, viel Aufmerksamkeit erregt“, sagt James McInerney, Erstautor der Studie von der University of Michigan. „Unser Team hat sich gefragt, wie verschiedene Arten von Falten genutzt werden können, um zu steuern, wie sich ein Material verformt, wenn unterschiedliche Kräfte und Drücke auf es einwirken.“

Falten erwünscht

So faltet sich ein einmal zerknittertes Stück Pappe nachweislich vorhersehbarer als ein Stück ohne Falten. Damit könnten die neuartigen Werkstoffe zu Innovationen in allen Bereichen führen: von Verkehrsmitteln bis zur Medizin und in der Kleidung, wo Falten oft eher unerwünscht sind. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig.
„Es gibt eine Vielzahl von Szenarien, die von der Konstruktion von Gebäuden, Flugzeugen und Marineschiffen bis zur Verpackung und zum Versand von Waren reichen. Bei allen muss gut zwischen der Verbesserung der Tragfähigkeit und der Erhöhung des Gesamtgewichts abgewägt werden“, erklärt McInerney. Weiter sagte er:
„Unser Ziel ist es, belastbare Konstruktionen durch Hinzufügen von Origami-inspirierten Falten zu verbessern – ohne zusätzliches Gewicht.“

Origami hat in Asien eine lange Tradition.

Foto: Toru Yamanaka/AFP via Getty Images

Konkret schlagen die Forscher in ihrer Studie den Einsatz des neuen Materials für Herzimplantate, Laufschuhe und Tragflächen von Flugzeugen vor. Laut den Forschern bestehe derzeit die größte Herausforderung darin, vorhersehbar zu berechnen, welche Falten wann verwendet werden müssen, um die besten Ergebnisse zu erzielen. Was einfach klingen mag, entpuppt sich aber als komplex.
„Wenn ich an einem Ende eines Blattes Papier ziehe, ist es fest – es geht nicht auseinander. Aber gleichzeitig ist es auch flexibel, kann zerknittern und sich wellen, je nachdem, wie ich es bewege. Das ist ein ganz anderes Verhalten als bei herkömmlichen Festkörpern, aber ein sehr nützliches“, erklärt Professor Zeb Rocklin, Mitautor der Studie.

Origami macht feste Körper flexibel

Doch während flexible Festkörper einzigartig nützlich sind, sind sie auch nur schwer berechenbar. „Bei diesen Materialien ist es oft schwierig vorherzusagen, was passieren wird – wie sich das Material unter Druck verformen wird, da es sich auf viele verschiedene Arten verformen kann. Herkömmliche physikalische Techniken können diese Art von Problemen nicht lösen. Deshalb finden wir im 21. Jahrhundert immer noch neue Wege zur Charakterisierung von Strukturen“, erklärt Rocklin.
Bei der Betrachtung von Origami inspirierten Materialien beginnen die Physiker mit einem flachen Blatt. Dieses wird sorgfältig gefaltet, um eine bestimmte dreidimensionale Form zu schaffen – die Falten bestimmen, wie sich das Material verhält.
Die Methode ist jedoch begrenzt: Bisher wurde nur die auf Parallelogrammen basierende Origami-Faltung getestet. Dabei werden Formen wie Quadrate und Rechtecke verwendet, die jedoch nur begrenzte Arten der Verformung zulassen. „Unser Ziel war es, diese Forschung auf trapezförmige Flächen auszuweiten“, sagt McInerney.
Parallelogramme haben zwei Paar parallele Seiten, während Trapezoide nur ein Paar parallele Seiten haben müssen. Dies macht die Art der Faltungen potenziell vielseitiger, aber auch noch schwieriger zu berechnen.
Origami-Prinzip im Test

Die Form des Körpers und seine Falten bestimmen, wie sich das Material verhält.

Völlig neue Möglichkeiten

Anhand ihrer Modelle und physikalischer Tests haben die Forscher herausgefunden, dass trapezförmige Flächen ganz anders reagieren. So waren die Entwürfe in der Lage, ihre Form auf zwei verschiedene Arten zu verändern: durch „Atmung“, also gleichmäßiges Ausdehnen und Zusammenziehen, und durch „Scherung“, also durch Verformung in einer Drehbewegung.
„Wir haben gelernt, dass wir trapezförmige Flächen im Origami verwenden können, um das System daran zu hindern, sich in bestimmte Richtungen zu biegen. Das bietet eine andere Funktionalität als Parallelogrammflächen“, fügt McInerney hinzu.
Überraschenderweise stellte das Team auch fest, dass einige Verhaltensweisen von Origami auf Parallelogrammbasis auf ihre trapezförmigen Origami übertragbar sind. Dies könnte auf einige Merkmale hindeuten, die für alle Formen gelten könnten.
„Unsere Forschung ist zwar theoretisch, aber diese Erkenntnisse könnten uns mehr Möglichkeiten geben, wie wir die Strukturen einsetzen und nutzen können“, erklärt Rocklin.

Origami lernen von der Natur

Bis die neuen Materialien zum Einsatz kommen, liegt nach Aussage der Forscher „noch eine Menge Arbeit“ vor ihnen. Derzeit gibt es zwei verschiedene Forschungsrichtungen, die verfolgt werden.
Die Erste besteht darin, von Trapezen zu allgemeineren Vierecken überzugehen und zu versuchen, ein effektives Modell vom Verhalten des Materials zu entwickeln. Der zweite Teil beinhaltet die Entwicklung von Möglichkeiten, wie die Entwürfe in ein reales System eingebunden werden können.

Die NASA hat bereits 2014 ein Solarpanel für Satelliten im Origami-Prinzip gefaltet.

Foto: NASA

„Dazu müssen wir verstehen, wo unsere Modelle versagen – sei es aufgrund der Belastungsbedingungen oder des Herstellungsprozesses. Außerdem müssen wir effektive Herstellungs- und Testprotokolle erstellen“, erklärt McInerney.
„Es ist ein sehr anspruchsvolles Problem, aber die Biologie und die Natur sind voll von intelligenten Festkörpern, einschließlich unseres eigenen Körpers, die sich bei Bedarf auf spezifische, nützliche Weise verformen“, sagt Rocklin. „Genau das versuchen wir mit Origami nachzuahmen.“

Weitere Lücke geschlossen

Trotz der innovativen Ideen bleibt jedoch speziell bei dickem Material ein Problem bestehen: unerwünschte Lücken. Denn beim Falten dicker Platten führt die zunehmende Materialstärke zu strukturellen Störungen, die das Zusammen- oder Entfalten erschweren. Zudem machen sie so eine durchgehende, ununterbrochene Oberfläche unmöglich.
Genau an diesem Problem haben Rui Peng von der National University of Singapore und sein Kollege unabhängig von den Bestrebungen in den USA getüftelt. Ihre innovative Lösung widerspricht dabei der konventionellen technischen Logik: Sie entfernen Elemente beziehungsweise Faltstellen, statt neue hinzuzufügen.
So entfernten die Forscher bei einer Struktur aus drei Platten mit zwei Falten die mittlere Platte und verlängerten die zwei anderen Platten beidseitig. Dass dies funktioniert, zeigten 3D-gedruckte Prototypen, die sich effizient zu nahtlosen Flächen entfalten ließen – und das bei den unterschiedlichsten geometrischen Grundformen.
Origami revolutioniert die Materialforschung

Anstatt Flächen hinzuzufügen (l.) haben Forscher Platten entfernt (r.), um die beim Entfalten entstandenen Lücken zu schließen.

Für die Entwickler lässt sich dieses Prinzip auf große Architekturen wie entfaltbare Stadionkuppeln, wasserdichte Überdachungssysteme und Weltraumteleskope anwenden. Im Alltag ist zudem ein Einsatz für umbaubare Autokomponenten denkbar, während es im kleinsten Maßstab für chirurgische Anwendungen von Nutzen sein könnte.
Dipl.-Ing. Tim Sumpf studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit den Schwerpunkten erneuerbare Energien, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Als Ressortleiter „Wissen“ und Statistiker des Hauses berichtete er neben den genannten Themen auch über Klima, Forschung und Technik.

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