Bei einem Gegenangriff des Irans gestern Abend und in der Nacht gab es in Israel Verletzte und Tote. Die israelische Luftabwehr war nicht imstande, alle der etwa 150 iranischen Raketen insbesondere auf die Küstenstadt Tel Aviv abzufangen.
Die iranische staatliche Nachrichtenagentur
IRNA gab außerdem bekannt, dass die Luftabwehr des Landes zwei israelische F-35-Kampfflugzeuge abgeschossen habe. Das Schicksal der Piloten sei unbekannt. Nach ihnen werde gesucht. Es wird erwartet, dass die israelischen Luftschläge auf den Iran heute und in den kommenden Tagen fortgesetzt werden. Ebenso die militärische Reaktion des Irans.
Netanjahus „Gründe“ für den Angriff
Israel hat die nuklearen Ambitionen des Irans schon immer als existenzielle Bedrohung angesehen. Die theokratisch regierenden islamischen Geistlichen in Teheran bestehen jedoch darauf, dass ihr Atomprogramm rein friedlichen Zwecken diene, etwa zur Energiegewinnung in einer Zeit nach der Nutzung von Erdöl. Allerdings droht die religiöse und politische Führung seit 46 Jahren auch damit, den Staat Israel auszulöschen.
Dass es sich dabei nicht nur um aggressive Rhetorik, sondern um ein ernsthaftes Ansinnen handelt, hat der Iran unter anderem mit der Aufstellung von Stellvertreterarmeen im Libanon, Syrien und im Jemen gezeigt, die Israel bis vor einem Jahr massiv bedrohten. Auch die Hamas in Gaza wurde vom Iran massiv unterstützt. Im Zuge des Gaza-Krieges seit Oktober 2023 hat Israel diese iranischen Proxys überwiegend ausgeschaltet. Dennoch wird der Iran in Israel als höchste Bedrohung wahrgenommen. Und so sah sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu genötigt, zu handeln, wie er am Freitag in einer Erklärung über einen
YouTube-Link auf Englisch bekannt gab.
Gescheiterte Atomgespräche wirklich ausschlaggebend?
Vordergründig verwies Netanjahu als Entscheidung für den israelischen Angriff auf das Scheitern der Mitte April mit hohen Hoffnungen gestarteten Direktgespräche zwischen den USA und dem Iran. In den jüngsten beiden Verhandlungstreffen hatte sich abgezeichnet, dass der Iran nicht bereit ist, auf eine einzige der Forderungen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump einzugehen.
„Heute ist klar, dass der Iran nur Zeit kauft“, warf Netanjahu in seinem Statement am Freitag der Führung in Teheran vor. „Deshalb haben wir keine andere Wahl, als zu handeln. Und zwar jetzt.“ Netanjahu wandte sich in seiner Ansprache auch an Europa und Amerika:
„Wir werden nicht zulassen, dass das weltweit gefährlichste Regime die weltweit gefährlichsten Waffen erhält. Und der Iran plant, diese Waffen, Atomwaffen, an seine terroristischen Stellvertreter zu übergeben. Das würde den Albtraum des nuklearen Terrorismus nur allzu real machen. Die zunehmende Reichweite der ballistischen Raketen des Iran würde diesen nuklearen Albtraum in die Städte Europas und schließlich auch nach Amerika bringen.“
Irans Schwäche als Gelegenheit genutzt
Doch die israelische Führung weiß auch: Seit den landesweiten Protesten vor allem junger iranischer Frauen im Jahr 2022 Jahren ist der Iran intern geschwächt. Hinzu kommt, dass es Israel im vergangenen Jahr gelungen ist, die iranischen Stellvertreterarmeen der libanesischen Hisbollah-Miliz und die Hamas im Gazastreifen massiv zu schwächen beziehungsweise gänzlich auszuschalten.
Da liegt es in Jerusalem nahe, dies als Gelegenheit zu nutzen, weitere militärische Schläge gegen den Iran auszuführen, dieses Mal im Kernland selbst. Dass die israelische Luftwaffe ungehindert im iranischen Luftraum nach Gutdünken operieren konnte, offenbart zudem, dass die iranische Luftverteidigung bereits deutlich geschwächt und technisch nicht auf dem neuesten Stand ist. Offenbar fehlt es außerdem an geeignetem Personal innerhalb der iranischen Streitkräfte.
Militärische Führung enthauptet
Mit seinen jüngsten gezielten Tötungen von hochrangigen Militärs hat Israel diese Schwäche noch verstärkt und die iranische Militärführung buchstäblich enthauptet.
In der ersten Welle des israelischen Luftschlags wurde Generalmajor Hussein Salami getötet. Er war Oberbefehlshaber der sogenannten „Islamischen Revolutionsgarde“, einer militärischen Elitetruppe, die direkt dem obersten Führer Ayatollah Ali Chamenei unterstellt ist.
Weitere Opfer sind: Generalmajor Mohammad Bagheri, Chef des Generalstabs der iranischen Streitkräfte. Er verfügte über umfangreiche Erfahrung mit militärischen Geheimdiensten und Spezialoperationen.
Generalmajor Gholam Ali Rashid, Kommandeur des Hauptquartiers von „Khatam al-Anbia“, dem wichtigsten strategischen militärischen Kommandoorgan im Iran.
Generalmajor Amir Ali Hajizadeh, Chef der Luftverteidigung und verantwortlich für den Aufbau der Drohnenfähigkeiten der iranischen Streifkräfte.
Und schließlich Brigadegeneral Esmail Qaani, Kommandeur der Quds-Brigaden, den iranischen Auslandseinheiten, die auch die schiitischen Milizen im Irak sowie die Hisbollah und Hamas lenken und ausbilden. Sein Vorgänger Qassem Soleimani war 2020 auf Anordnung von Donald Trump in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident mittels eines US-Drohnenangriffes in Bagdad getötet worden.
Wie lange die Führung in Teheran immer wieder solche Positionen mit qualifiziertem Personal nachbesetzen kann, bleibt offen. Im Fall des Quds-Kommandeurs konnte festgestellt werden, dass Esmail Qaani in keiner Weise an das mitreißende Charisma seines Vorgängers Soleimani heranreichte.
Ablenkung von Gaza?
In der Entscheidung Netanjahus, den Iran jetzt anzugreifen, dürfte auch die Überlegung eingeflossen sein, von der israelischen Militäraktion im Gazastreifen abzulenken. Denn diese hat Israel in den letzten Monaten zunehmend diplomatisch isoliert – bis hin zu
Vorwürfen, Israel würde Hunger als Waffe unter den Palästinensern in Gaza nutzen.
Großbritannien hat auf diese in London als „Verstoß gegen internationales Recht“ wahrgenommene israelische Kriegsführung mit Sanktionen gegen zwei Minister der israelischen Regierung reagiert. Und in französischen Regierungskreisen kursieren derzeit Gerüchte, Frankreich sei in Reaktion auf die „unmenschliche“ Kriegsführung der Israelis kurz davor, die Palästinensergebiete als unabhängigen Staat anzuerkennen.
„Point of no return“
Stellvertretend dafür, wie der israelischen Öffentlichkeit der neue Krieg seitens der Medien erklärt wird, sei der namhafte britisch-israelische Journalist und Gründer der „Times of Israel“, David Horovitz,
zitiert.
Er versucht in einer Kolumne den israelischen Angriff folgendermaßen zu erklären: „Seit Jahren droht Israel, das Schurken-Atomprogramm Teherans ins Visier zu nehmen. In letzter Zeit haben die Anreicherungs- und Waffenbemühungen des Regimes jedoch zugenommen.“ Wie alle Israelis „sehr wohl wissen, verfügt der Iran über Raketen, die jeden Punkt im Land erreichen können“.
Dann wiederholt Horovitz die Begründung Netanjahus und fügt ein Statement des israelischen Generalstabschefs Eyal Zamir hinzu. Dieser hatte in einer „Erklärung an die Nation“ vom „Point of no Return“ gesprochen: Es gebe derzeit eine Situation, die „den Punkt erreicht hat, an dem es kein Zurück mehr gibt“.
Möglicherweise Anfang vom Ende des Mullah-Regimes
Was auch immer die wahren Gründe sein mögen, die Israel veranlasst haben, einen weiteren Krieg zu beginnen: Es hat den Anschein, dass Premierminister Netanjahu versuchen wird, das zu Ende zu bringen, was er sich bereits seit Beginn des Gaza-Krieges vor eineinhalb Jahren vorgenommen hat: das iranische Mullah-Regime in die Knie zu zwingen oder gar endgültig zu beseitigen.
Insofern können die Folgen dieses neuen Nahostkriegs bei weitem weitreichender sein als der Gaza-Krieg und der Krieg gegen die Hisbollah im Libanon. Netanjahu könnte versucht sein, den Nahen Osten grundlegend zu verändern. Die arabischen Nachbarn werden – außer verurteilenden Lippenbekenntnissen – Israel nicht daran hindern.
Ausweitung des Krieges auf den Persischen Golf
In einem Onlinebeitrag des britischen Privat-TVs „
Sky News“ wird die berechtigte Sorge geäußert, wie der Iran reagieren könnte, wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlt.
Der Iran könnte versucht sein, Ziele im Persischen Golf anzugreifen. „Wenn genügend Tanker versenkt werden oder Ölraffinerien in Rauch aufgehen, könnte dies unmittelbare Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben.“ Damit könnte die iranische Hoffnung verbunden sein, dass sich US-Präsident Trump einschaltet und Israel zwingt, seine Angriffe einzustellen. „Wenn der Persische Golf zum Schlachtfeld wird, werden wir alle die Konsequenzen spüren“, glaubt der britische Sender.