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Wer hat’s erfunden?

Unterwasserarchäologie: Als ein Mann begann, in die Vergangenheit abzutauchen

Obwohl längst nicht alles an Land bekannt ist, tauchte ein Forscher früh in die Gewässer der Welt ab, um Überresten der Geschichte auf den Grund zu gehen – vielleicht inspiriert von Jules Vernes Kapitän Nemo. Dies war die Geburt der Unterwasserarchäologie und der Anstoß zahlreicher sensationeller Entdeckungen.

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In der Unterwasserarchäologie wird alles untersucht, was Menschen im Laufe der Zeit in Gewässern zurückgelassen haben: Ruinen, Schiffe, Flugzeuge, Panzer, ...

Foto: emotionalsea/iStock

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Lesedauer: 12 Min.

Wer an Unterwasserarchäologie denkt, wird zunächst an versunkene Städte wie Atlantis oder mit wertvollen Schätzen beladene Schiffswracks denken. Doch dies ist nur ein Bruchteil dessen, was tief unter Wasser an Geschichte auf uns wartet.
Der Wunsch, diese zu entdecken, ist mindestens 150 Jahre alt. Denn lange bevor die Unterwasserarchäologie entstand, gab es in der Literatur eine fiktive Figur, die über die Erkundung versunkener Geschichte nachdachte: Kapitän Nemo aus Jules Vernes Klassiker „20.000 Meilen unter dem Meer“.
Verne griff in seinem Werk von 1870 damals bekannte, versunkene Ruinen auf, die sein Protagonist im U-Boot „Nautilus“ besuchte. Doch erst 100 Jahre später sollte ein Mann die Fantasien von Jules Verne wahr werden lassen.

Bereits in dem Buch „20.000 Meilen unter dem Meer“ denkt Kapitän Nemo über die Erforschung versunkener Relikte nach.

Vater der Unterwasserarchäologie

Als Vater und Pionier der Unterwasserarchäologie gilt der US-Amerikaner George Fletcher Bass (1932–2021). Bereits früh erkannte er die historischen Denkmäler um sich herum. Einer dieser Schlüsselmomente war ein Urlaub auf Sizilien. Als er das römische Theater in Taormina sah, kam ihm ein lebensverändernder Gedanke: „Man kann seinen Lebensunterhalt mit dem Studium dieser Dinge verdienen“.
Bass wurde als Sohn literaturbegeisterter Eltern geboren. Sein Vater, Robert, war Professor für Englische Literatur an der University of South Carolina und später Professor an weiteren US-amerikanischen Universitäten. Seine Mutter, Virginia, war eine erfolgreiche Schriftstellerin.
George Bass gilt als Vater der Unterwasserarchäologie

George Fletcher Bass (1932–2021) gilt als Vater der Unterwasserarchäologie. Er ist nicht mit seinem Namensvetter, dem Entdecker George Bass (1771–1803) verwandt.

In der Tat schien eine Karriere in der Literatur für George Bass unausweichlich. Aber auch andere Familienmitglieder könnten einen bleibenden, wegweisenden Eindruck bei ihm hinterlassen haben, denn sein Onkel Robert Wauchope (1909–1979) war ein erfolgreicher Archäologe mit Schwerpunkt Lateinamerika.
Obwohl sich Bass zunächst für Astronomie interessierte, entschied er sich vorerst, in die akademischen Fußstapfen seiner Eltern zu treten und studierte Englische Literatur an der Johns-Hopkins-Universität. Doch nach zwei Jahren Studium, einem Auslandsstudium, dem prägenden Urlaub auf Sizilien und einem Streich, für den er suspendiert wurde, entschied er sich für die Archäologie.

Mythen, Staub und das Militär

Allerdings gab es eine Hürde: Die Johns-Hopkins-Universität besaß keinen Lehrstuhl für Archäologie. Doch wer wirklich will, findet Wege. „Damals gab es keine archäologische Abteilung, aber sie haben für mich ein Hauptfach mit Kursen in der Abteilung für den Nahen Osten und der Klassischen Philologie eingerichtet“, erinnert sich Bass.
Im Jahr 1955 erwarb er seinen Masterabschluss in Vorderasiatischer Archäologie. Danach studierte er in Athen, Griechenland, und sammelte praktische Erfahrungen auf Ausgrabungen. So grub Bass unter anderem am sogenannten „Haus der Ziegel“ in Lerna mit, das gemeinhin als das älteste Haus Griechenlands bezeichnet wird. Außerdem arbeitete er mit dem bekannten Archäologen Rodney Young zusammen – eine Arbeitsbeziehung, die sich später als sehr nützlich erweisen sollte.
In den folgenden vier Jahren war Bass mal als Archäologe im Nahen Osten und mal als Soldat in Südkorea tätig. 1959 kehrte er in die USA zurück, um seinen Doktortitel in Klassischer Archäologie an der Universität Pennsylvania zu erwerben. Dort war – wie es das Leben vorhersah – sein Bekannter Rodney Young inzwischen Kurator der Sammlung der Universität.
Im selben Jahr, in dem Bass seinen Doktortitel erwarb, entdeckte der Fotojournalist Peter Throckmorton beim Tauchen vor der türkischen Küste bei Kap Gelidonya die gesunkenen Überreste eines antiken Schiffes. Young erfuhr von dem Schiffswrack und hatte sofort eine Vision: Bass sollte die Ausgrabungen leiten.

Geburtsstunde der Unterwasserarchäologie

Bass wusste nicht, wie man taucht, aber er war bereit, es zu lernen und belegte einen zehnwöchigen Kurs. Das Wrack, das er ausgraben wollte, lag in einer Tiefe von rund 30 Metern – es war also zwingend notwendig, sich mit dem Tauchen vertraut zu machen. In der Nacht vor seiner Abreise in die Türkei bestand er alle Tauchtests: Die erste Ausgrabung unter Wasser konnte beginnen.
Das besagte Schiff sank um 1200 v. Chr. und war damals das älteste entdeckte Schiffswrack. Bass stellte ein Team aus Profis und Laien zusammen, wobei er einen ungewöhnlichen Ansatz verfolgte.
Auch Joan du Plat Taylor war eine Pionierin der Unterwasserarchäologie

Die britische Archäologin Joan du Plat Taylor half bei der Ausgrabung des Schiffswracks von Gelidonya.

Anstatt an Bord zu bleiben und die Taucher bei der Ausgrabung anzuweisen, begab er sich selbst zum Wrack und grub es mit aus. Das mag heute alltäglich erscheinen, aber 1960 war es alles andere als das. Die Ausgrabung des über 3.000 Jahre alten Schiffes bewies, dass dieselben archäologischen Prinzipien, die am Land angewandt wurden, auch unter Wasser galten.
Bis zur Entdeckung des Schiffswracks von Gelidonya gingen Historiker davon aus, dass sich der antike Seehandel ausschließlich auf die mykenischen Griechen beschränkte. Bass vermutete jedoch, dass die Handelsbeziehungen bereits viel weiter reichten. Als er die im Wrack gelegenen Kupferbarren mit denen verglich, die in ägyptischen Gräbern gefunden wurden, schien seine Theorie bestätigt.

Neue Entdeckungen, neue Erfindungen

Nach dieser Ausgrabung begab sich Bass zu einem anderen Schiffswrack vor Yassıada in der Türkei. Dieses Wrack war deutlich jünger und stammte aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. – einer Zeit, als Yassıada unter dem Namen Plati zum Byzantinischen Reich gehörte. Während dieser und späterer Ausgrabungen in den 1960er-Jahren entwickelte und testete Bass neue Technologien für die Unterwasserarchäologie.
Dazu gehörte der „Amphorenträger“ – ein Korb, in den Artefakte gelegt werden konnten. An diesem war ein Ballon befestigt, der mit Luft gefüllt werden konnte und so die Funde an die Wasseroberfläche brachte. Insgesamt konnte der Korb eine halbe Tonne Material transportieren.

Rekonstruktion des byzantinischen Schiffes, das im 7. Jahrhundert n. Chr. vor der Küste der Türkei gesunken ist.

Eine weitere Neuerung war eine weiter entwickelte, mit Sauerstoff gefüllte Tauchglocke in der Form einer Telefonzelle, womit Forscher das Ausgrabungsgebiet vom Meeresboden aus betrachten konnten.
Das Kronjuwel war jedoch das Zwei-Mann-Tauchboot „Asherah“. Es ermöglichte den Unterwasserarchäologen, ein Gebiet gründlicher zu kartieren und Wracks leichter zu finden. Das Tauchboot startete erstmals 1964, im selben Jahr, in dem Bass seinen Doktortitel in Klassischer Archäologie erhielt.
Bei der Unterwasserarchäologie kommen auch Tauchboote wie dieses zum Einsatz

Das 1963 gebaute Zwei-Mann-Tauchboot „Asherah“ war fast fünf Meter lang, wog 4,5 Tonnen und konnte 180 Meter tief abtauchen.

Seine langjährige Arbeit im Mittelmeer brachte Bass auf die Idee, ein Institut für Nautische Archäologie (INA) zu gründen. Eigentlich sah er als Standort Zypern vor, jedoch war dies wegen Krieges nicht möglich. Letztlich wurde Texas in den USA zur Heimat des INA und ermöglichte zahlreiche sensationelle Entdeckungen.

Größte Funde der Unterwasserarchäologie

Bereits 1977 war Bass wieder in der Türkei, um mit den Ausgrabungen für ein neues Projekt zu beginnen. Es handelte sich um ein fast 1.000 Jahre altes Schiff in der Nähe von Serçe Limanı. Die Ausgrabung dauerte bis 1979 und erbrachte eine der bis dato größten bekannten Ansammlungen von mittelalterlichem islamischem Glas. Außerdem barg das versunkene Schiff bedeutende Erkenntnisse zur Schiffskonstruktion. Doch es sollte noch besser werden.

Die Überreste des Schiffswracks von Serçe Limanı in einem Museum.

Den historisch bedeutendsten Beitrag für die Archäologie brachte die Entdeckung des Schiffes von Uluburun vor der türkischen Küste. Es war zugleich die größte Ausgrabung, die Bass jemals durchführte. In dem rund 3.400 Jahre alten Wrack entdeckten die Archäologen eine Ladung, die nur als königlich bezeichnet werden konnte.
Von 1984 bis 1994 bargen die Archäologen nach mehr als 22.000 Tauchgängen Kupfer, Ebenholz, Glas, Elfenbein, edles Harz und Zinn sowie Töpferwaren, Fayencebecher und -perlen, Gold- und Silberschmuck, Elfenbeinkästchen und einen Skarabäus aus Gold mit dem Namen von Pharaonengattin Nofretete darauf.
Mit der Unterwasserarchäologie war die Entdeckung wichtiger historischer Funde wie dem Wrack von Uluburun möglich

Modell des berühmtesten und reich ausgestatteten Schiffswracks der Antike: Das Schiff von Uluburun.

Diese karrierebestimmende Entdeckung untermauerte die 30 Jahre alte Theorie von Bass, dass der Seehandel über die Griechen hinausging. Tatsächlich stammen die kostbaren Waren aus Afrika, der Levante, Zypern und Griechenland.

Ein bleibendes Vermächtnis

In den 1960er Jahren mauserte sich die Unterwasserarchäologie zu einer aufwendigen, aber gewinnbringenden Spezialdisziplin. Bass war unstrittig der wichtigste Pionier auf diesem Gebiet. Er beeinflusste das Fachgebiet für den Rest seines Lebens – auch wenn er nach 1986 nicht mehr tätig war.
Binnen weniger Jahrzehnte entwickelte sich die Unterwasserarchäologie zu einer Spezialdisziplin

Binnen weniger Jahrzehnte entwickelte sich die Unterwasserarchäologie zu einer weltweit angewandten Spezialdisziplin.

Für seine Forschung erhielt Bass zahlreiche Preise und Orden. Seine bedeutendste Auszeichnung erhielt er vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush „für seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der Nautik und der Schaffung eines neuen Wissenschaftszweigs – der nautischen Archäologie – die neue Erkenntnisse über die Geschichte liefert“.
Vielleicht ist es Schicksal, dass George Bass – der Sohn zweier Literaten – rund 100 Jahre später Jules Vernes Vorstellung von der Unterwasserarchäologie wahr werden ließ.

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