
Kernkraft pfui, Kohle (noch) hui: Warum die Bundesregierung gegen den Strom schwimmt
Wie kann es sein, dass ausgerechnet im CO₂-feindlichen Deutschland Kohlekraftwerke weiter laufen, „klimaneutrale“ Kernkraftwerke aber abgeschaltet wurden? Ein Rückblick auf die Hintergründe des Atomausstiegs.

Das Symbolbild zeigt Wasserdampf, der aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde emporsteigt. Das Kraftwerk soll bis Ende 2028 vom Netz gehen.
Foto: Patrick Pleul/dpa
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Zwei Jahre und zwei Wochen ist es her, dass die Ampelregierung die letzten drei Strom liefernden Kernkraftwerke auf deutschem Boden abschalten ließ. Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland boten eine Reaktorleistung von zusammen rund 4.300 Megawatt, und das ohne nennenswerten CO₂-Ausstoß.
Noch im Laufe des Jahres 2022 hatten sie nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) gemeinsam 34,7 Milliarden Kilowattstunden (Terawattstunden, TWh) Strom erzeugt. Dieser gut 6-prozentige Anteil an der gesamten deutschen Jahresstromproduktion von 509 TWh war genug, um rund 10 Millionen privater Zweipersonenhaushalte zu versorgen.
Zuwachs an „Erneuerbaren“ glich fehlende Kernkraftwerke zu 85 Prozent aus
Nach Angaben des BMWK stieg aber auch die Stromausbeute aus „erneuerbaren Energien“ um 29,4 Milliarden Kilowattstunden. „Bei isolierter Betrachtung der Kernenergie einerseits und der Erneuerbaren andererseits hat die gestiegene Stromerzeugung der Erneuerbaren den Rückgang bei der Kernenergie also rein rechnerisch zu rund 85 Prozent kompensiert“, so ein BMWK-Sprecher auf Anfrage der Epoch Times.
Die alte wie die neue Bundesregierung wollen an dem Plan festhalten, bis 2045 „Klimaneutralität“ zu erreichen. Der Anteil der „Erneuerbaren“ an der Bruttostromerzeugung war laut BMWK „in den letzten drei Jahren von 44 auf 57 Prozent“ gestiegen. „In diesem Zusammenhang ist auch auf die Merit-Order hinzuweisen, die dafür sorgt, dass je nach Verfügbarkeit ein Mix von CO₂-freien und fossilen Energieträgern die ‚Stromlücke‘ schließt.“

Auch die designierte schwarz-rote Bundesregierung hält am Ziel „Klimaneutralität bis 2045“ fest.
Foto: Bildschirmfoto/CDU.de/PDF
Die Stromerzeugung aus fossilen Kraftwerken (Braun- und Steinkohle, Erdgas, Mineralöl) sei damals zudem „von 264,7 TWh um 74,9 TWh auf 189,8 TWh“ zurückgegangen, erklärte der BMWK-Sprecher. „Der Wegfall der Kernenergie wurde also nicht durch Strom aus fossilen Kraftwerken kompensiert, vielmehr sank deren Stromproduktion trotz des Kernenergieausstiegs deutlich. Der Bruttostromverbrauch ging um rund 29 TWh zurück.“
30 Millionen Tonnen CO₂ zusätzlich
Dennoch gilt: Wären die Kernkraftwerke weiter am Netz geblieben, hätten auch sie zur Reduktion von CO₂ beigetragen. Bei einer angenommenen Menge von 925 Gramm CO₂ pro kWh für den deutschen Braun/Steinkohle-Mix hätte ein gleichmäßiger Weiterbetrieb allein der drei Kernkraftwerke jedes Jahr etwa 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart. Zum Vergleich: Die gesetzlich erlaubte angepasste Jahresemissionsgesamtmenge lag 2024 bei 693,4 Millionen Tonnen CO₂.
Nach Ansicht des BMWK greift eine solche Rechnung aber zu kurz: „Der Strom der Kernkraftwerke wird und wurde im europäischen Stromnetz auf vielfältige Weise ersetzt, zum Beispiel durch eine höhere inländische Erzeugung, die auch auf eine geringere Abregelung von erneuerbaren Energien zurückgeführt werden könnte, oder auch durch Importe, die ebenfalls geringere spezifische Emissionen aufweisen können als ein deutsches Kohle- oder Erdgaskraftwerk.“
Aus Gründen der Sicherheit
Der Hauptgrund für das Kernkraft-Aus 2023 lag nach Informationen des Bundesumweltministeriums (BMUV) in „sicherheitstechnischen Risiken“. Zudem hätte es verfassungsrechtliche Risiken und auch „sehr hohe wirtschaftliche Kosten“ bedeutet, die drei Anlagen weiter laufen zu lassen. Das habe der ministerielle Prüfbericht (PDF) ergeben, der im März 2022 aufgrund des kurz zuvor ausgebrochenen Kriegs in der Ukraine erstellt worden war. In einer gemeinsamen Presseerklärung des BMUV und des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) hieß es damals:
„Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken ist eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen.“
Inwiefern der Prüfbericht nicht ergebnisoffen, sondern – im Sinne mutmaßlicher Kernkraftgegner im BMWK – womöglich ideologiegetrieben verfasst worden sein könnte, war in den vergangenen beiden Jahren eine der umstrittensten Fragen im Bundestag.
Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses, der auf Betreiben der seinerzeit oppositionellen Unionsfraktion im Bundestag eingerichtet worden war, enthielt im Februar 2025 jedoch lediglich unterschiedliche Feststellungen und Bewertungen der Fraktionen (PDF). Rechtliche Konsequenzen gab es keine.
Gaskraftwerke gegen Dunkelflauten
Um die Grundlastfähigkeit sicherzustellen, wenn in Deutschland Dunkelflaute herrscht, setzt die Bundesregierung auf schnell und flexible hochfahrbare Gaskraftwerke. Sie sollen Mehrbedarfe oder Defizite ausgleichen.
Nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag (BT-Drucksache 20/10553, PDF) vom März 2024 sollen „neue Kraftwerkskapazitäten im Umfang zu 10 Gigawatt (4 mal 2,5 Gigawatt) als H2-ready-Gaskraftwerke im Rahmen der Kraftwerksstrategie kurzfristig ausgeschrieben werden“, nämlich bis zum Jahr 2026. Ab 2035 bis spätestens 2040 sollen die Kraftwerke auf „klimaneutralen“ Wasserstoffbetrieb umgerüstet werden, so die Ampelregierung.
Darüber hinaus will die Bundesregierung im Rahmen ihrer Stromspeicherstrategie Batteriespeicher für überschüssige Wind- und Solarenergie aufbauen, die bei einer Mangellage zumindest kurzfristig genutzt werden können.
BMWK: „EE-basiertes Stromsystem kennt keine Grundlast mehr“
Nach Angaben des BMWK-Sprechers ist zu berücksichtigen, „dass ein EE-basiertes Stromsystem keine Grundlast im herkömmlichen Sinn mehr kennt“. Es würden keine Kraftwerke mehr gebraucht, die stets unter Volllast liefen. „Vielmehr muss der zukünftige Kapazitätsmix in der Lage sein, einerseits die täglichen Schwankungen der Stromerzeugung aus EE auszugleichen und andererseits Phasen von mehreren Tagen mit geringer EE-Erzeugung zu überbrücken.“
Zu den voraussichtlichen Kosten des vollständigen Umstiegs auf CO₂-freie Energiequellen bis 2045 konnte der BMWK-Sprecher keine Prognose machen: Das hänge „von der konkreten Ausgestaltung der Klimaschutz- und Energiepolitik“ ab. Er wies darauf hin, dass beispielsweise der EE-Ausbau bis Mitte 2022 per Umlage bezahlt worden sei, erst danach aus dem Steuersäckel.
Außerdem würden auch die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung „in erheblichem Maße“ zur Finanzierung beitragen. „Teilweise werden die Erneuerbaren aber auch direkt privat finanziert“, so der Sprecher. Das sei etwa bei manchen Photovoltaik-Freiflächenanlagen der Fall, die das Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht in Anspruch nähmen.
Deutschlands Weg aus der Atomkraft
Der insbesondere von den Grünen seit Jahrzehnten geforderte Ausstieg aus der Kernkraft war stets mit der Gefahr einer Havarie und der Nichtexistenz eines Endlagers für radioaktive Abfälle begründet worden, obwohl Deutschland im internationalen Vergleich unbestritten über die sichersten Anlagen verfügte.
Die Grünen benötigten allerdings gut zwei Jahrzehnte, bis sie mit dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder einen Partner fanden, mit dem sie ihre Pläne tatsächlich auf den Weg bringen konnten: Ein erstes Konsensabkommen mit den Energieversorgern legte die schrittweise Abschaltung fest.
Nachdem die Nachfolgeregierung Merkel diese Pläne zunächst verworfen und sich zur Zukunft der Kernenergie bekannt hatte, änderte die Kanzlerin ihre Meinung, als im März 2011 ein Tsunami das Kernkraftwerk im japanischen Fukushima überrollte. Drei Monate später, am 9. Juni, verkündete die CDU-Kanzlerin in einer Regierungserklärung den schrittweisen Ausstieg bis spätestens Ende 2022. Am 30. Juni 2011 stimmte der Bundestag zu. Daraufhin wurden die 17 noch in Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke schrittweise vom Netz genommen.
Atomstrom nur noch aus dem Ausland
Als im Herbst 2022 infolge des Ukraine-Krieges die antirussischen Sanktionen und die Zerstörung dreier von insgesamt vier Röhren der beiden Nord Stream-Erdgaspipelines die Lage auf dem deutschen Energiemarkt stark verschärft hatten, nutzte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angesichts des nahenden Winters seine „Richtlinienkompetenz“, um die Laufzeit der letzten drei verbliebenen AKW in Deutschland doch noch einmal um dreieinhalb Monate zu verlängern.
Danach bezog Deutschland Atomstrom nur noch von seinen Nachbarländern, vorwiegend aus Frankreich.
Ukrainische Kernkraftwerke für Habeck kein Problem
Als der finale Abschalttermin Anfang April 2023 näher rückte, hatte Wirtschaftsminister Habeck anlässlich eines Besuchs in der Ukraine nichts gegen einen Weiterbetrieb der dortigen Atommeiler einzuwenden: „Die Ukraine wird an der Atomkraft festhalten. Das ist völlig klar – und das ist auch in Ordnung, solange die Dinger sicher laufen. Sie sind ja gebaut“, argumentierte Habeck damals.
Auch gegen die finanzielle Belastung der deutschen Steuerzahler für den Bau von Kernkraftwerken im benachbarten EU-Ausland hatte die Ampelregierung nichts einzuwenden.
Sämtliche Versuche aus der Opposition, den deutschen Atomausstieg wieder rückgängig zu machen, scheiterten bislang. Ende April 2023 hatte ein AfD-Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes (BT-Drucksache 20/6189, PDF), bei der auch die schon Ende 2021 abgeschalteten Kernkraftwerke reaktiviert werden sollten, keine einzige Stimme aus den Reihen der Ampelparteien, aber auch keinerlei Unterstützung durch Union, FDP und Linke erfahren.
Zuletzt waren nach Angaben des Bundestags mehrere „Initiativen der AfD, die auf eine Weiternutzung der Kernkraft hinausliefen“, bei einer Abstimmung am 10. November 2023 durchgefallen.
Im Februar 2024 hatte sich die Europäische Union geeinigt, die Atomenergie künftig als „nachhaltig“ zu fördern. Die UN-Klimakonferenz setzt sich ebenfalls für den weltweiten Ausbau der Kernenergie ein.
Standort für Atommüllendlager soll „bis Mitte dieses Jahrhunderts“ feststehen
65 Jahre nach Inbetriebnahme des ersten deutschen Kernkraftwerks in Kahl am Main, Bayern, ist die Frage übrigens noch immer offen, wo ein Endlager für die radioaktiven Abfälle eingerichtet werden soll, das Sicherheit für 1 Million Jahre bietet.
Das BMUV wies auf Anfrage der Epoch Times darauf hin, dass man seit März 2025 einen Schritt weiter sei: Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) und die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hätten „Optimierungsvorschläge veröffentlicht, die nun diskutiert werden“ könnten.
Die BGE hatte vorgeschlagen, „Betretungsrechte zu vereinfachen“ und dafür die übertägige und die untertägige Erkundung der potenziellen Standortregionen zusammenzuziehen. „Die sich daraus ergebenden zielgerichteten Aufwandsreduzierungen wirken sowohl zeit- als auch kostenreduzierend“, heißt es im Diskussionsvorschlag (PDF).
Iris Graffunder, die Vorsitzende der BGE-Geschäftsführung, zeigte sich bereits zuversichtlich, dass die finale Standortauswahl für das Endlager „bis Mitte dieses Jahrhunderts“ erfolgen könne, sofern die dazu notwendigen rechtlichen Anpassungen glücken sollten. „Ebenfalls wichtig ist, dass die Vorschläge mit den Bundesländern und in den Beteiligungsgremien des Standortauswahlverfahrens diskutiert werden“, betonte das BMUV. Die BGE rechne zudem damit, dass die Inbetriebnahme des Endlagers Konrad in Niedersachsen für schwach- und mittelradioaktive Abfälle Anfang der 2030er-Jahre beginnen werde.
Patrick Reitler, geboren in den späten Sechzigerjahren am Rande der Republik. Studium der Komparatistik, Informationswissenschaft und Sozialpsychologie. Seit der Jahrtausendwende als Journalist hauptsächlich in Online-Redaktionen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und als Fußballkommentator unterwegs. Seit Ende 2022 freier Autor. Bei Epoch Times vorwiegend für deutsche Politik zuständig.
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